Dem Gams wird's heiß

Gams_fotografiert von Dietmar Streitmair

Wie die Klimakrise unserem Wappentier zu schaffen macht

 

1. August, Gamsabschuss! Zugegeben: Bei der Gamsjagd denken wir wirklich ungerne an Klimakrisen und Naturkatastrophen – die Nachrichten über Fluten und Sandstürme liegen zuhause am Küchentisch. Dabei hat diese Erderwärmung auch die alpinen Räume längst erreicht. Das zeigt eine groß angelegte Studie, unterstützt von der Kärntner Jägerschaft und weiteren Landesjagdverbänden.

 

Die Hitze zerrt am Gams

 

Forschungsergebnisse aus der Schweiz und aus Italien zeigten, dass das Gewicht der Gamsjährlinge im Zuge von immer wärmeren und trockenen Frühsommern abnimmt. Ausgehend davon wird auch das Körpergewicht erwachsener Gams allmählich geringer. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass nicht das Nahrungsangebot, sondern die Temperatur der ausschlaggebende Faktor ist. Vermutet wird hierbei, dass die führenden Geißen aufgrund der steigenden Temperaturen weniger Zeit zum Äsen aufwenden, weil sie mehr ruhen und sich im Schatten aufhalten, wodurch die Milchleistung abnimmt und die Kitze weniger wachsen.

 

Mit Unterstützung der österreichischen Landesjagdverbände ist es nun erstmal gelungen einen direkten Bezug zwischen Klima, Lebensraum und der Entwicklung von Wildtieren herzustellen. Die Ergebnisse sind bisher einzigartig und erregten in der internationalen Fachwelt Aufsehen. Zur Verfügung standen die Abschussdaten aus Salzburg, aus der Steiermark und vom Forstbetrieb Foscari aus Kärnten. Analysiert wurden die Strecken von 1993 bis 2019 in 28 unterschiedlichen Gebirgsgruppen. Im Detail ging es - so wie in den anderen Studien auch - um das Gewicht der Jährlinge. Kitze und Jährlinge reagieren auf sich ändernde Umweltbedingungen am stärksten. Als Einflussgrößen wurden die Schneehöhen über den Winter (getrennt nach Früh-, Hoch- und Spätwinter), die Frühjahrs- und Sommertemperaturen im aktuellen Jahr und im Geburtsjahr, die Wilddichte und die Waldbedeckung gewählt.

 

Danke Wald!

 

Von 1993 bis 2019 ist das Gewicht bei den weiblichen Jährlingen von durchschnittlich 14,7 auf 13,9 kg gesunken, bei den Bockjährlingen fiel es von 15,0 kg auf 14,5 kg. Das mag auf den ersten Blick nicht viel erscheinen, doch im Modell zeigt sich eine signifikante negative Entwicklung des Körpergewichtes über die Jahre. Die Frühjahrs- und Sommertemperaturen stiegen im selben Zeitraum an. Die Erderwärmung wirkt sich auf Entwicklung und Körpergewicht bei einjährigen Gämsen aus.

 

Besonders hervorzuheben ist hier aber, dass der Gewichtsverlust in engem Zusammenhang mit der Waldbedeckung in den einzelnen Gebirgsgruppen steht. Das heißt: Je höher der Waldanteil im Lebensraum, desto weniger fällt das Körpergewicht bei den Gamsjährlingen in der erwähnten Zeitperiode von 25 Jahren. In alpinen Lebensräumen mit einem Waldanteil von weniger als 35% ist das Gewicht in Jahren mit höchsten Frühjahrstemperaturen sogar um knapp 1,5 kg (ca. 10%) gesunken, während die Temperatur in Lebensräumen mit einem Waldanteil von über 90% keine Auswirkungen auf das Körpergewicht hatte. Der Wald puffert die Auswirkung der Klimaerwärmung auf das Körpergewicht beim Gamswild ab!

 

Die vorliegende Arbeit aus Österreich belegt, dass sich die Klimaerwärmung bei ein und derselben Wildart im alpinen Lebensraum – also vereinfacht bei den „Gratgams“ – stärker auswirkt als bei den „Waldgams“. Ein Teil des Gamswildes wird immer zwischen Hochlagen und Wald wechseln – vor allem in den Kalkalpen, wo Wald und Fels enger verzahnt sind, ist das der Fall.

 

Wenn Gams im Winter je nach Witterung von den Hochlagen in tiefergelegene Waldbereiche ausweichen, dann sind sie nur vorübergehend im Wald – tatsächlich handelt es sich jedoch um jene Gruppe, die der Erwärmung im Sommerhalbjahr stärker ausgesetzt ist. Auch der Druck durch die zunehmende Freizeitnutzung im alpinen Gelände oder durch Konkurrenz mit Rotwild kommt hier stärker zu tragen als bei Gamswild, das sich ganzjährig in stark bewaldeten Bereichen aufhält. Ergebnisse aus früheren Untersuchungen aus Salzburg und der Steiermark zeigen, dass die Zuwachsprozente in Waldlebensräumen grundsätzlich höher sind als in alpinen Gebieten, folglich sind auch die nachhaltig möglichen Nutzungsraten ganz verschieden. Die vorliegende Studie lässt vermuten, dass diese Unterschiede im Zuge des Klimawandels noch größer werden.

 

Gams sind wenig hitzetolerant, dennoch ist die Wildart plastisch und anpassungsfähig – gerade diese Anpassungsfähigkeit sollte ihr aber nicht zum Verhängnis werden. Die Alpen sind heute ein Rückzugsgebiet für Wildtiere, die gut an Kälte angepasst sind, und die nach der letzten Eiszeit hier neue Lebensräume gefunden haben. Selbst wenn sich die Erdatmosphäre nur um 1,5° C erwärmt, werden 3.000 Gletscher völlig verschwinden und Lebensräume tiefgreifend verändert. Auswirkungen auf Fruchtbarkeit und Zuwachs, ebenso wie auf die Wilddichte und das Raumnutzungsverhalten sind vor allem in alpinen Regionen zu erwarten – selbst das Paarungssystem kann betroffen sein.

 

Die gesamte Studie kann online abgerufen werden: https://doi.org/10.1111/gcb.15711